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Sexualdelikte in der Revision (1) BGH 1 StR 53/16

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 21. August 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung zu Gunsten der Nebenklägerin getroffen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die zugleich erhobenen Verfahrensbeanstandungen nicht ankommt.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält, wie die Revision zutreffend bemängelt, sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Wenn – wie im vorliegenden Fall – Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, ist die Aussage der einzigen Belastungszeugin einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen. Dabei müssen die Urteilsgründe nachvollziehbar erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Dezember 2012 – 5 StR 544/12, NStZ-RR 2013, 119). Insoweit ist zunächst eine zusammenfassende Darstellung etwaiger bestreitender Angaben des Angeklagten notwendig; die Aussage des Angeklagten und die Bewertung seines Aussageverhaltens ist in den Urteilsgründen nachvollziehbar darzulegen (vgl. Miebach in MüKo-StPO, § 261 Rn. 209). Beruht eine Verurteilung im Wesentlichen auf der Aussage einer Belastungszeugin und hat sich diese entgegen früheren Vernehmungen teilweise abweichend erinnert, bedarf es einer geschlossenen Darstellung der jetzigen und der früheren Aussagen der Zeugin, weil ansonsten eine vom Gericht erfolgte Konstanzanalyse revisionsrechtlich nicht überprüft werden kann (vgl. BGH aaO; Miebach aaO § 261 Rn. 236 mwN). Eine gravierende Inkonstanz in den Bekundungen eines Zeugen kann ein Indiz für mangelnde Glaubhaftigkeit darstellen, wenn es hierfür keine plausible Erklärung gibt (vgl. Senat, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172). Stellt das Gericht in Fällen von Aussage gegen Aussage einen Teil der angeklagten Tatvorwürfe nach § 154 Abs. 2 StPO ein, bedarf es zudem einer Mitteilung der Gründe hierfür, weil diese im Rahmen der gebotenen umfassenden Glaubhaftigkeitsbeurteilung von Bedeutung sein können (vgl. Senat, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 160).

2. Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung der Strafkammer in mehrfacher Hinsicht nicht.

a) Die Strafkammer legt schon nicht dar, wie sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung konkret eingelassen hat. Das Landgericht teilt im Rahmen der Beweiswürdigung lediglich in zwei Sätzen mit, der Angeklagte habe in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens abgestritten, die Nebenklägerin auf sexuelle Weise beleidigt zu haben, und er habe in der Hauptverhandlung die ihm zur Last gelegten Vorwürfe bestritten. Ob es sich jeweils um ein pauschales oder detailliertes Bestreiten des Angeklagten gehandelt hat und was er im Einzelnen zu den Tatvorwürfen gesagt hat, ist aus den Urteilsgründen nicht ersichtlich.

b) Das Landgericht hat für seine Konstanzanalyse rechtsfehlerhaft nur die letzte (ausführliche) polizeiliche Vernehmung der Nebenklägerin vom 24. Mai 2013 herangezogen. Eine plausible Konstanzanalyse erfordert jedoch den umfassenden Vergleich aller Angaben über denselben Sachverhalt zu unterschiedlichen Zeitpunkten (vgl. Senat, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172).

Zu zwei früheren polizeilichen Vernehmungen führt die Kammer in den Urteilsgründen lediglich aus, es habe sich jeweils nur um kurze Vernehmungen gehandelt, weil diese aus Zuständigkeitsgründen alsbald beendet worden seien. In der ersten Vernehmung am 9. April 2013 habe die Nebenklägerin ausgesagt, der Angeklagte habe ihr gegenüber unverblümt den Wunsch nach Sexualkontakt geäußert, sie “begrapscht” und mehrfach seinen Penis an ihrem Körper gerieben. Zudem habe sie hierbei deutlich gemacht, dass sie aufgrund ihrer engen finanziellen Verhältnisse Angst habe, ihre Arbeit zu verlieren, wenn sie den Angeklagten anzeige. In der zweiten Vernehmung am 17. April 2013 habe sie lediglich eine Vergewaltigung geschildert. Erst in der dritten mehrere Stunden umfassenden Vernehmung am 24. Mai 2013 habe die Nebenklägerin erstmals umfassend zur Sache aussagen können und dabei drei vaginale und eine zudem anale Vergewaltigung geschildert.
Nähere Einzelheiten zu den ersten beiden Vernehmungen ergeben sich aus den Urteilsgründen nicht. Der Senat kann auf dieser lückenhaften Grundlage nicht nachvollziehen, welche Gründe es für die erhebliche Änderung im Aussageverhalten der Nebenklägerin gegeben haben mag. Das Landgericht selbst benennt hierfür ebenfalls keine plausiblen Gründe. Dass – wie im Urteil angedeutet – die Angst der Nebenklägerin vor einer Kündigung ihres mit dem Angeklagten geschlossenen Arbeitsverhältnisses der Grund für eine anfängliche Zurückhaltung in den Vernehmungen gewesen sein könnte, lässt sich schon deshalb ausschließen, weil die Nebenklägerin bereits seit dem 28. März 2013 ihrer Arbeit ferngeblieben war und zudem am 7. April 2013 ihr Arbeitsverhältnis schriftlich gekündigt hatte. Die kurze Zeitdauer der zwei Vernehmungen am 9. und 17. April 2013 bietet für sich gesehen ebenfalls keine nachvollziehbare Erklärung für die gravierenden Abweichungen im Aussageverhalten, weil der Kern der tatgegenständlichen Vorwürfe auch in wenigen Worten geschildert werden kann.

c) Schließlich teilt die Kammer auch nicht mit, aus welchen Gründen die Einstellung der angeklagten Vergewaltigungstat zu Ziffer 2 der Anklageschrift erfolgt ist. Den Urteilsgründen ist nur zu entnehmen, dass diese Einstellung vorgenommen wurde und die Nebenklägerin auf Vorhalt ihrer polizeilichen Vernehmung die Geschehnisse insoweit bestätigt habe. Was die Nebenklägerin konkret insoweit ausgesagt hat, wird im Urteil – entgegen dem Gebot umfassender Aussageanalyse – nicht mitgeteilt.

3. Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung.

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Autor: Prof. Dr. Ulrich Ziegert

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