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BGH Tötungsvorsatz Az. 1 StR 179/11

Einen Schwerpunkt der Revisionsverfahren stellen Revisionen gegen Urteile dar, die Tötungsdelikte zum Gegenstand haben. Oft stellt sich die Annahme der subjektiven Seite der Tat, also des Tötungsvorsatzes als problematisch dar und eröffnet deshalb Möglichkeiten, ein Urteil erfolgreich anzugreifen.
In der neuen Verhandlung wurde keiner der beiden Angeklagten erneut wegen Totschlags bzw. Mordes verurteilt, im zweiten Fall konnte damit auch die lebenslange Freiheitsstrafe endgültig abgewehrt werden.

Bei versuchten Tötungsdelikten bietet auch die Prüfung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch erfolgversprechende Perspektiven.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 30. November 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in weiterer Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht bedarf.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der Angeklagte sowie die Geschädigten M. und U. arbeiteten in einem Schnellrestaurant in H. ; außerdem wohnten sie zusammen in einer Mietwohnung in einem Mehrfamilienhaus. Vor der Tat kam es zwischen M. und dem Angeklagten immer wieder zu Konflikten. Hintergrund war, dass M. den Angeklagten bei der Arbeit ohne triftigen Grund ständig 1 schikanierte. Nachdem M. wegen seines Verhaltens gegenüber dem Angeklagten von dem Filialleiter des Schnellrestaurants zurechtgewiesen worden war, wollte er sich an dem Angeklagten rächen. Deshalb schrieb er an dessen Freundin eine E-Mail, in der er unter anderem wahrheitswidrig behauptete, dass der Angeklagte sie schon mehrfach mit anderen Frauen hintergangen habe. In der Tatnacht konfrontierte die Freundin den Angeklagten mit M. s Behauptungen und teilte ihm mit, dass sie sich deshalb von ihm trennen werde. “Wütend und erregt” suchte der Angeklagte daraufhin M. in dessen Zimmer auf und es kam zwischen ihnen zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Als der Geschädigte U. versuchte, die beiden auseinander zu bringen, schlug ihm der Angeklagte ins Gesicht, so dass er einen Nasenbeinbruch erlitt.
Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung flüchtete M. in das Treppenhaus. Dort wurde er von dem Angeklagten zu Fall gebracht und lag auf der linken Körperseite in zusammengekrümmter Haltung auf dem Boden und schützte den Kopf mit seinen Händen. Der Angeklagte, der barfuß war, trat nun mindestens fünf Mal von oben auf M. s rechte Kopfseite und traf diesen “in Höhe der Schläfe”. Durch das Eingreifen eines Nachbarn wurde der Angeklagte schließlich von weiteren Tritten abgehalten. Beim Weggehen rief der Angeklagte dem Geschädigten noch zu: “Das ist nicht das Ende. Du kannst nur von Glück reden, dass du Freunde hast, die dich verteidigt haben.”
M. erlitt durch die Tritte nur geringe Verletzungen. Auf der rechten Kopfseite kam es zu Rötungen und Hautabschürfungen, unter anderem im Bereich der rechten Augenbraue. Auf der linken Kopfseite im Stirn- und Wangenbereich fanden sich nach der Tat mehrere Blutergüsse in Form von gelblichgrünlichen Verfärbungen, die durch das Aufschlagen der linken Kopfhälfte auf dem Boden verursacht wurden. Eine konkrete Lebensgefahr bestand für den 4 Geschädigten nicht; zu einer solchen Gefahr wäre es – so das Landgericht – “nur bei Eintritt sehr fern liegender Umstände” gekommen.

b) Das Landgericht hat die Tritte des Angeklagten gegen den Kopf des Geschädigten M. rechtlich als einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs.1 Satz 1 Nr. 5 StGB) gewertet. Den Schluss auf den bedingten Tötungsvorsatz hat es dabei aus der abstrakten Gefährlichkeit der Tatausführung für das Leben des Geschädigten gezogen; auch einem “medizinischen Laien” sei es bekannt, “dass Tritte gegen den Kopf, vor allem gegen den empfindlichen Schläfenbereich, tödliche Folgen haben können”. Dem Angeklagten seien diese Folgen jedoch bei der Tatausführung gleichgültig gewesen; er habe sich “keine näheren Gedanken” darüber gemacht, ob M. die heftigen und zahlreichen Tritte überleben werde. Allein der Umstand, dass der Angeklagte beim Zutreten barfuß gewesen sei, stehe einem bedingten Tötungsvorsatz nicht entgegen.

2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist es zwar anerkannt, dass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der Schluss auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz nahe liegt. Dabei ist jedoch auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Der Schluss auf einen bedingten Tötungsvorsatz erfordert deshalb, dass das Tatgericht die der Sachlage nach ernsthaft in Betracht kommenden Tatumstände, zu denen auch die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motive gehören, in seine Erwägungen einbe-6 zogen hat. Das gilt namentlich für spontane, unüberlegte, in affektiver Erregung ausgeführte Handlungen.

b) Den sich daraus ergebenden Anforderungen an die Prüfung eines bedingten Tötungsvorsatzes werden die Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil zu dem hier vorliegenden besonders gelagerten Fall nicht ausreichend gerecht.

aa) Das Landgericht hat sich im Rahmen der gebotenen Gesamtschau der für die Bewertung der Tat bedeutsamen objektiven und subjektiven Umstände nicht damit auseinandergesetzt, dass die barfuß ausgeführten Tritte hier keine hochgradig lebensgefährlichen Gewalthandlungen darstellten. Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts sind wuchtige Tritte gegen den Kopf bzw. auf den Schläfenbereich zwar generell dazu geeignet, schwere Kopfverletzungen wie Impressionsfrakturen oder Gehirnverletzungen herbeizuführen. Auch kann es zu einer Bewusstlosigkeit des Opfers und einer damit verbundenen Gefahr der Einatmung von Blut (z.B. bei Verletzungen im Nasenraum) oder Erbrochenem kommen. Im vorliegenden Fall bestand aber aufgrund der nur oberflächlichen Verletzungen des Geschädigten (Blutergüsse und Hautrötungen im Gesicht), der zudem während des Tatgeschehens und auch danach stets bei Bewusstsein war, keine konkrete Lebensgefahr. Angesichts des Umstandes, dass es vorliegend gerade nicht zu schweren Kopfverletzungen gekommen ist, wie dies ansonsten bei wuchtigen Tritten gegen den Kopf zu erwarten gewesen wäre, hätte sich das Landgericht bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes daher mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die eher geringen Verletzungen des Geschädigten hier nicht dafür sprechen könnten, dass der Angeklagte die Tritte nicht mit der Wucht und Ent-9 schlossenheit ausgeführt hat, die nötig gewesen wären, um seinem Opfer konkret lebensbedrohliche Verletzungen beizubringen.

bb) Das Landgericht hätte weiterhin prüfen müssen, ob die affektive Erregung des Angeklagten, ausgelöst durch das die Tat provozierende Verhalten des Geschädigten, Einfluss auf sein Vorstellungsbild über die Folgen seiner Handlungen oder seinen Willen zur Tat hatte. Da das Landgericht eine solche Erregung hier festgestellt hat, bestand Anlass zu einer näheren Erörterung dieses Umstandes in den Urteilsgründen.
An der insoweit bestehenden Prüfungspflicht des Landgerichts ändert es auch nichts, dass der Angeklagte trotz seiner starken Erregung weder in seiner Einsichts- noch in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen ist. Denn das Landgericht hat im Rahmen seiner Beweiswürdigung selbst festgestellt, dass sich der “wütende” und “erregte” Angeklagte im Augenblick des Zutretens “keine näheren Gedanken” über die Folgen seiner Handlungen gemacht hat.

cc) Schließlich erörtert das Landgericht nicht, warum es bei dem Angeklagten während der Tatausführung zu einem Vorsatzwechsel gekommen ist. Nach den Feststellungen handelte der Angeklagte bei Beginn und auch noch im späteren Verlauf der Handgreiflichkeiten “nur” mit Körperverletzungsvorsatz (UA S. 13: “In diesem Moment erschien der Angeklagte wieder im Zimmer, um M. weiter zu verletzen.”). Weshalb der Angeklagte dann während des Geschehens im Treppenhaus, bei dem er mehrfach barfuß gegen den Kopf des Geschädigten trat, seinen Willen gesteigert und einen (bedingten) Tötungsvorsatz gefasst haben sollte, ist im Urteil nicht näher ausgeführt.

3. Da das Landgericht das Tatgeschehen – auch zum Nachteil des Geschädigten U. – als einheitliche Tat angesehen hat, ist das Urteil auf die 11 Revision des Angeklagten insgesamt aufzuheben und an eine andere als Schwurgericht tätige Strafkammer des Landgerichts zu erneuter Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Autor: Prof. Dr. Ulrich Ziegert

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